Alexandra Pirici

Leaking Territories, 2017, Foto: Henning Rogge

Leaking Territories, 2017, Foto: Henning Rogge

Leaking Territories [Undichte Territorien]

2017

 

Standort

Friedenssaal im

Historischen Rathaus Münster

Prinzipalmarkt 10

 

Performer_innen

Beniamin Boar, Liliana Ferri De Guyenro, Montserrat Gardó Castillo, Susanne Grau, Susanne Griem, Jared Marks, Rolando Matsangos, Luísa Marinho Saraiva, Fang-Yu Shen, Tyshea Lashaune Suggs, Pia Alena Wagner, Andy Zondag

Alexandra Pirici

* 1982 in Bukarest, lebt in Bukarest, Rumänien

Alexandra Pirici verschmilzt in ihren Arbeiten Performance, Tanz und Skulptur. Häufig setzt sie sich mit der Geschichte und Bedeutung spezifischer Orte auseinander, um bestehende Hierarchien spielerisch zu hinterfragen und zu transformieren. In ihren Interventionen stellt sie der Monumentalität öffentlicher Denkmäler und Institutionen lebendige Gesten entgegen, die eine grundlegende Skepsis gegenüber in Stein gemeißelten Formen von Vergangenheit und kanonischen Festschreibungen artikulieren. Ein weiterer Fokus ihrer Arbeit liegt auf der künstlerischen Reflexion von Informationssouveränität und Filtermechanismen im digitalen Raum.

Der Friedenssaal im historischen Rathaus bildete den Ausgangspunkt einer mehrteiligen Arbeit, in der primär medial vermittelte Ereignisse reinszeniert wurden. Während in einer Sequenz sechs Performer:innen einen Kollektivkörper formten, der den Raum dynamisch durchquerte, stellten sie in einer anderen Situationen nach, die auf territoriale Konflikte und Momente der Infragestellung klarer Grenzziehungen verwiesen. Ausgerufene Datums- und Entfernungsangaben verorteten diese in Zeit und Raum. Stellenweise verkörperten die Performer_innen lebendige Suchmaschinen, die mit dem Publikum interagierten. Partiell überschnitt sich der touristische Besuchsbetrieb mit der im Loop aufgeführten Aktion.

Pirici situierte ihre Arbeit an einem geschichtsträchtigen Ort. Heute dient die ehemalige Rats- und Gerichtskammer, in der 1648 der Friede von Münster geschlossen wurde, als repräsentativer Empfangssaal und Touristenmagnet. Im Kontext des Westfälischen Friedens – der einen vordergründig religiösen, primär hegemonialen Krieg diplomatisch beendete und eine Fixierung territorialer Staatsgrenzen markierte – steht der Raum symbolisch für Dialog, Toleranz und die Geburtsstunde des Völkerrechts. Sie begegnete dieser isolierten musealen Vergangenheitsinszenierung, indem sie den Raum für äußere Einflüsse öffnete und ihn in ein assoziatives, multiperspektivisches Netz von Referenzen einbezog. Die Körper dienten als Medium und Schnittstelle, über die reale, mediale und mentale Zeit-Räume – einem Hypertext vergleichbar – miteinander verknüpft wurden. Durch Rückübersetzung von Bewegungen in dreidimensionale Ausdrucksformen wurde Geschichte in dem Medium aktualisiert, in dem sie sich ereignet, aber auch in ihrer Konstruiertheit erfahrbar. Piricis körperbasierte Collage warf ein Bündel an Fragen auf, die um den Nationalstaat als statisches, identitätsstiftendes Konstrukt und die Ambivalenz digitaler Technologien kreisten. In Zeiten, in denen Nationalismus und Protektionismus die Idee Europas infrage stellen, plädierte Piricis Arbeit für eine Kultur des grenzüberschreitenden Dialogs und der Vielstimmigkeit. Damit lässt sie sich lose auch in Beziehung zu einem Rechtsgrundsatz setzen, der einen der Deckenbalken des Ratssaales ziert: Audiatur et altera pars – gehört werde auch der andere Teil.

Andreas Prinzing

Bilder

Standort

  • Noch vorhanden / Öffentliche Sammlung
  • Nicht mehr vorhanden
  • Im Museum